Samstag, September 17, 2016

Ich bin ein Tollpatsch - was für eine Art Trottel bist Du?

Wieder einmal grassieren Unmengen von "Tests" durch facebook, die mit lustigen Ergebnissen locken, wenn man ein paar Fragen beantwortet. Eine harmlose Sache? Ich denke nicht und habe daher einen alten Blogbeitrag wieder nach oben geholt.


Dafür geben Firmen Unsummen aus: zu wissen, was man uns wie verkaufen kann. Denn Daten sind Geld, und meine Daten sind mein Geld. Wer mich kennt, weiß, wie er mich ansprechen muss. Und wer das weiß, kommt leichter an mein Geld und an meine Stimme. Soweit die Theorie.
Leider stimmt die in diesem Fall mit der Praxis überein: Ich bin zwar oft dumm, aber so dumm, zu glauben, ich sei nicht manipulierbar, bin ich denn doch nicht. Die Gefahr besteht. (Viele Menschen glauben zwar, sie seien gegen Werbung und andere Manipulation immun, doch das ist schon der erste Irrtum, dem sie aufgesessen sind und ein Erfolg der Werbung.)

Im Internet bieten sich den Werbenden ganz neue Möglichkeiten: man kann einzelne Personen gezielt ansprechen. Das geht über die Auswahl der Produkte hinaus: der eine will forsch angesprochen sein, der andere eher zurückhaltend. Der eine liebt den gesellschaftlichen Kontext, der andere ist Einzelgänger. Sehnt man sich nach Erfolg, Geld oder Ruhe? Legt man mehr Gewicht auf Gesundheit oder auf den Kitzel des Risikos? Bitte, lieber Internetuser, gib uns deine Daten, und zwar so, dass wir sie gleich nach unseren elektronischen Schablonen auswerten können. Am besten, du füllst uns gleich ein paar Fragebögen aus, die deinen Typ auswertbar beschreiben.
Wie kann die Werbebranche herausfinden, wie ich ticke, und zugleich ganz harmlos daher kommen? Der derzeitige Trick ist einfach. Man postet die Typenfragen, die man gerne beantwortet haben möchte, und hängt als Bonbon eine kleine Auswertung dran: was für ein Unwetter bist Du, was für eine Person aus der Geschichte, was für ein Hund, welche Farbe oder wer aus Downton Abbey. Dazu verraten wir dir noch deinen vermeintlichen IQ, dein geistiges Alter und deine Lebenserwartung. Und weil wir uns mit der IP nie ganz sicher sind, wer da gerade am Rechner sitzt, kannst du deine Ergebnisse auf Facebook posten. Jetzt wirst Du Werbung bekommen, die zu dir passt und die du daher gar nicht als aufdringlich empfinden wirst.

Blöd, wie ich bin, habe ich selbst ein paar dieser Tests mitgemacht, bis mir auffiel, dass die eigentlich gar nicht lustig sind, außer natürlich für die Auswerter. Wer da mittut, braucht sich über Datenklau bei Google nicht mehr aufzuregen, denn er liefert die Daten freiwillig: ein nettes kleines Persönlichkeitsprofil samt Facebokkidentität und damit faktisch samt Namen und Adresse.

Hier also mein selbst geschriebenes(!) Trottel-Testergebnis:
„Du bist im Umgang mit Deiner Person zu sorglos. Dass du trotzdem nur ein mittelschwerer Trottel bist, liegt daran, dass du noch eine gewisse Lernfähigkeit beweist. Du bist wie jemand, der aus Versehen Dinge umwirft, um sie hinterher etwas unbeholfen wieder gerade zu rücken: ein Tollpatsch.“

Auf Facebook habe ich begonnen, so ziemlich jeder Werbung mit „passt nicht zu mir“ zurück zu weisen. Seitdem bekomme ich in erster Linie Einladungen zu Seniorentreffs – damit kann ich leben. Und die wiederholte Google-Suche nach Urlaubsorten und der Natur in Norwegen beschert mir immer wieder schöne Landschaftsaufnahmen, wo mir früher Freude am Fahren nahe gelegt wurde. Eindeutig eine Verbesserung. Und zugleich der Beweis, dass man genau weiß, wer ich bin…

Donnerstag, September 15, 2016

Jeder und jede von Euch ist geliebt!



Auch unser Bischof Bernhard Oesterhagen hat ein Grußwort zum »Marsch für das Leben« am kommenden Samstag in Berlin geschrieben:

Ich bin gebeten worden, ein Grußwort für den Marsch für das Leben zu schreiben. Eine schwere Aufgabe!
Wen soll ich grüßen? Persönlich würde ich am liebsten all die Ungeborenen begrüßen, natürlich nachdem sie das Licht der Welt erblickt haben. Mit ihnen fühle ich mich solidarisch, denn ich bin auf dem besten Weg, zu werden wie sie: als alter Mann werde auch ich womöglich bald hilflos und schutzbedürftig sein. So ist der Mensch nun einmal am Anfang und am Ende seines Lebens, und ich gehöre dazu.
Doch ich wurde nicht als alter Mann, sondern als Bischof gefragt, als Apostel Christi, und so sollt Ihr die Antwort eines Apostels bekommen. Ich richte meinen herzlichen Gruß im Namen Jesu an daher all die, auf die er heute mit seiner unverbrüchlichen Liebe und unermesslichen Vergebung besonders schaut und die er bei sich haben möchte:

Liebe Gegendemonstranten,
jeder und jede von Euch ist geliebt!
Ich will nicht mit Euch argumentieren. Argumente gab es genug. Ihr kennt die der Demonstranten, und die Demonstranten kennen Eure. Ich will das nicht wiederholen, sondern Euch sagen: jeder einzelne von Euch ist geliebt. Das steht über jedem Argument und über jedem moralischen Appell. Das Leben, um das es hier geht, ist nicht nur das der Ungeborenen. Es ist genauso Euer Leben, das Gott so sehr am Herzen liegt.
Das mag für Euch heuchlerisch erscheinen. Ihr seid hier, weil Ihr Euch wehrt. Dagegen, bevormundet zu werden. Dagegen, dass man über Euren Körper verfügen will. Dagegen, dass man Euer Leben massiv beschneiden will, Eure Sexualität unterbinden will und das dann als „Pro-Life“ bezeichnet. Wie könnte jemandem, der Euch so sehr bekämpft Euer Leben am Herzen liegen?
Ich habe keine Worte, die so treffend sind, dass sie Euch einfach überzeugen. Doch es geht nicht um mich - als Bischof verkündige ich Gott. Er ist es, der Euch liebt. So sehr, dass er dafür gestorben ist. So sehr, dass er es für jeden einzelnen allein von Euch getan hätte. Die Kreuze, die hier an das Leben erinnern sollen, sind auch für Euch und Euer Leben: das Zeichen, dass Ihr geliebt seid.
Jemand, der den Tod nicht scheute, erträgt auch Kontroversen. Habt die Courage, diesem Gott zu sagen, was Euch stört. Sagt, was Ihr denkt, nicht das, wovon Ihr vermutet, dass die Demonstranten es wollen, dass Ihr es sagt. Aber sagt es ihm mit Blick auf das Kreuz, denn nur da ist er glaubwürdig. Am Kreuz ist er kein Diskussionsgegner, sondern ein Freund, den alles, aber auch alles an Euch interessiert. Seid nett zu den Demonstranten - vielleicht schenken sie Euch dann ja ein paar von den Kreuzen.
Was auch immer Ihr heute tut und denkt, liebe Gegendemonstranten, nehmt auf jeden Fall eines von hier mit: Ihr seid geliebt.

Herzlichst
Euer +Bernhard Oesterhagen
Bischof von Gnadensuhl

Sonntag, September 11, 2016

Pontifex

Eine Bezeichnung für den Papst ist Pontifex Maximus - der größte Brückenbauer. Was das bedeutet, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander.

Die einen haben einen eher dogmatischen Ansatz. Sie führen die Bibelstelle an „Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ und sehen im Papst, falls er denn schon Bestandteil einer Brücke sein muss, das Fundament, auf dem alles ruht. Bestenfalls schlägt er den Bogen von Dogma zu Dogma, um die dazwischen liegende Reine Lehre vor Regen zu schützen.
Andere sehen das seelsorgerisch dynamischer: eine Brücke muss Abgründe überwinden, führt selbstverständlich möglichst weit, und sobald sie steht, geht der Papst am besten selbst drüber und bricht sie danach hinter sich wieder ab, damit kein irgendwie gearteter Druck ausgeübt wird. Was könnte die Idee des Brückenbaus anderes sein, als alles und jedes unverbindlich zu verbinden? Jede Überwindung irgendeines Abgrundes ist ein Sieg; ein Netz aus Brücken ist die Vision, gleich von wo nach wo man auf ihnen gelangt.
Nun ist die ganze Sache etwas weniger fröhlich, als europäische Wohlstandschristen es aus ihren Diskussionen gewohnt sind, die meist so ablaufen, dass beide Seiten mehr oder weniger aggressiv-munter die Positionen des jeweils anderen demontieren und sich dabei gut fühlen. Für mich klärt sich die Frage nach dem Wesen des Papsttums in der schrecklichsten Geschichte, die ich je gehört habe. Ob sie exakt so vorgefallen ist, weiß ich nicht, aber sie könnte täglich genauso passieren.

Auf eine Kirche wird während eines Gottesdienstes ein Brandanschlag verübt. Die meisten können sich retten. Eine Mutter aber muss erst nach ihrer kleinen Tochter greifen und sieht sich von Flammen umgeben. Sie sucht panisch einen Ausweg und findet ihn tatsächlich nach Minuten in Hitze, Lärm und Rauch. Als sie endlich glücklich und erleichtert mit ihrer Tochter auf dem Arm herausspringt, stehen draußen die Brandstifter. Sie entreißen ihr das Kind und werfen es zurück ins Feuer, wo es vor ihren Augen stirbt und verbrennt.
Angesichts des Schicksals dieses kleinen Mädchens, des Schmerzes dieser Mutter und der Schuld dieser Mörder versagen alle menschlichen Möglichkeiten. Man kann mitweinen, helfen, strafen und alles versuchen, um zu lindern. Doch eine menschliche Antwort, die diese Situation wieder ins Gute wendet, gibt es nicht: Hier ist das Ende der Möglichkeiten erreicht und das Existenzielle, Absolute tritt nackt hervor, und niemand kann es mehr bemänteln. Das Menschliche ist an seiner Grenze und versagt.
Gott sagt: ich kann das. Ich bemäntele gar nichts, denn ich bin für alle eine tatsächliche Perspektive, nicht eine tröstende Weltanschauung, für Opfer, Hinterbliebene und Mörder. Mein Geschenk ist das wirkliche, das ewige Leben. Ich bin das Absolute: das absolute Leben, ein Leben in Freude ohne Schmerz oder Schuld.
Doch wie soll man das dieser Mutter sagen? Allzu oft kommt bei den Betroffenen nichts an, oder bestenfalls irgendwelche Philosophien über die letzten Dinge, unabänderliche, angenommene Schicksale und getragene Kreuze. Trostversuche, die, aus menschlichem Denken heraus gesprochen, genauso eine Verhöhnung der Beteiligten sind wie ideologische aber letztlich abstrakte Solidaritätsbekundungen. Wie kann man das Absolute zu den Menschen bringen? Die Nachricht vom Heil muss einen Abgrund von Misstrauen und Verzweiflung überwinden, der unüberwindlich scheint
Über diesen Abgrund verläuft die Brücke, die der Pontifex Maximus als erster immer wieder zu bauen hat, die Brücke, die den Mensch mit Gott verbindet. Die Brücke der Verkündigung, die Brücke, auf der Gottes Wort täglich zu den Menschen gelangen kann. Sie ist mit den Dogmen allein ebenso wenig vollständig beschrieben wie mit der Lebenssituation ausgesuchter Teile der Zielgruppe. Ein dummer, sinnloser Streit: wie könnte das Anliegen Gottes, sein Heil zu den Menschen zu bringen, bei persönlichen Standpunkten enden? Ein Brückenpfeiler, der nur seinen Standpunkt gelten lässt, offenbart ein merkwürdiges Brückenbild.
Der Lagerstreit zwischen den Christen ist die heutige Form der Kirchenspaltung. Die große Brücke wurde von Gott selbst geschlagen: diese Brücke ist sein Sohn. Wir aber sind der Leib Christi auf der Welt, wir vertreten diesen Sohn heute. Damit sind wir selbst Teil dieser Brücke Gottes zu den Menschen. Er ist es, den wir zerreißen, wenn wir uns zerstreiten.

Donnerstag, September 01, 2016

Meine Erlebnisse mit Mutter Teresa

Es ist sehr lange her – über 30 Jahre. Ich habe noch niemals darüber geschrieben. Doch jetzt, anlässlich der Heiligsprechung Mutter Teresas, mache ich es, ihr zu Ehren. Manche Erinnerung mag inzwischen ungenau sein und sich mit anderen vermischen, doch alles ist noch erstaunlich klar. Mein Erlebnisbericht soll im Chor der teilweise auch kritischen Stimmen nicht fehlen. Damals hatte ich die Gelegenheit und große Ehre, für eine Woche am schönsten Ort der Erde zu arbeiten.

„Nicht am Schönsten. Du meinst: den Beeindruckendsten!“ sagten meine Eltern und meine Freunde. Nein, ich meine den schönsten Ort, den es für mich gibt: Nirmal Hriday, the home for the dying in Kolkata. Unvorstellbare Schönheit zwischen Krankheit, Enge, Dreck und Tod.
Nach mehreren Monaten bei zwei Brüdern aus Taize im benachbarten Bangladesh hatte ich bereits einen gewaltigen Kulturschock hinter mir, sonst hätte ich das nicht gekonnt. Ich hatte im Verkehrsstau aus Rickschas gestanden, Slums besucht und Dörfer, die 10 Kilometer von der nächsten Straße entfernt lagen. Ich hatte unvorstellbare hygienische Zustände gesehen, weil die Grundbesitzer sich weigerten, den einen Quadratmeter Boden pro Haus für eine Toilette herauszurücken. Häuser, die teilweise so klein waren, dass die ältesten Söhne nachts draußen schliefen, weil die ganze Familie einfach nicht auf den Boden passte. Nur in der Hauptstadt Dhaka war es noch schlimmer, weil dort in den Randbezirken viele Abwasserkanäle wirklich kleine offene Kanäle waren, um die herum die Hütten standen. Manche Kanäle mündeten in kleine Seen, die natürlich völlig überdüngt und veralgt waren. Das hatte allerdings auch einen Vorteil: man konnte in ihnen viele kleine Fische fangen, die von den Algen lebten. Eine kleinfingerlange Eiweißquelle für Menschen, die sonst ausschließlich Reis, Linsen und Peperoni hatte, wenn sie sie hatten. Ich war zur Trockenzeit da, nicht im Sommer, wenn diese Brühe die Hütten überschwemmt. Ich hatte mich an die Kinderhorden gewöhnt, die in den Straßen jeden Weißen verfolgten, den sie zwar als Fremden verachteten, in dem sie aber ein wandelndes Portemonnaie sahen. Das hatte ich gesehen, und noch viel mehr.
Gegen Ende meiner Zeit rieten mir dann die beiden Brüder, ich solle doch für zwei Wochen nach Kolkata fahren. Bei der Heilsarmee könne man billig wohnen und für ein paar Tage käme ich sicher bei den dortigen Brüdern unter. Ein Zug fahre dorthin. In Kolkata sollte ich zum Kalighat-Tempel fahren. Direkt daneben befinde sich das Haus für die Sterbenden von Mutter Teresa; dort sei man über jeden Freiwilligen froh.

Als ich nach einer ziemlich abenteuerlichen Reise mein Bett bei der Heilsarmee hatte und am Kalighat-Tempel ankam, fand ich daneben ein unscheinbares, sehr einfaches Haus vor. Verschnörkelte Fassade – es war wohl einmal ein Pilgerzentrum des Tempels. Innen zwei große Räume – einer für die Frauen und für mich unzugänglich, einer für die Männer. Dazu ein paar Nebenräume.
Im Saal für die Männer standen dicht bei dicht dutzende einfacher Pritschen mit einem robusten, abwaschbaren Gummibelag. Man konnte so gerade zwischen ihnen herumgehen. An der Decke Ventilatoren. In der Ecke ein Bild vom Barmherzigen Jesus, ein Marienbild und ein Kreuz, typisch indisch und schreiend bunt. Davor ein paar Kerzen. Auf jeder Pritsche lag oder saß ein Mann. Eine der Schwestern hieß mich willkommen. Ich solle mich erst einmal eine halbe Stunde umsehen und eingewöhnen, dann hätte sie Arbeit für mich. Für eine Woche bin ich dort hingegangen und habe diese Arbeit verrichtet.
Essen wurde verteilt, sehr einfach, aber immerhin mit etwas Salat. Für viele Bewohner schlicht luxuriös. Dazu gab es Wasser. Einige Bewohner mussten gefüttert werden. Das konnte dauern, weil sie teilweise nicht mehr richtig schlucken konnten. Man musste im Mund nachschauen, bevor man den nächsten Bissen reichen konnte.
Wer es nicht mehr selbst konnte, musste gewaschen werden. Eine heikle Sache bei Menschen, bei denen Entblößung als Katastrophe gilt. Toilettenpfannen mussten gebracht und entsorgt werden. Eine, die man mir in die Hand drückte, enthielt undefinierbare Schleimfetzen, Blut und ein paar Segmente eines riesigen Bandwurms, daumendick. Ich konnte den Brechreiz nur unterdrücken, weil ich dachte: wenn du jetzt spuckst, nimmst du dem Mann seine letzte Würde. Verbände waren meist um die Reste verstümmelter Finger Leprakranker gewickelt, manchmal auch um die Reste größerer Gliedmaßen. Sie wurden von Personen gewechselt, die sich darauf verstanden. Tote wurden in einen kühlen Raum gebracht.
Mit diesen Arbeiten verging die Woche. Einige der Bewohner konnten ein wenig englisch. Sie klagten selten.
Mindestens eine ausgebildete Krankenschwester legte Infusionen und verabreichte Injektionen. Es gab einen klaren Medikamentenplan, einen guten Vorrat an allem Nötigen und selbstverständlich einen guten Sterilisator. Ein Arzt kam regelmäßig, untersuchte und stellte Diagnosen. Erschein jemand heilbar, so suchten die Schwestern nach einem Krankenhausplatz für ihn. Nicht einfach, da ein Krankenhaus bar bezahlt werden musste und die Patienten das nicht konnten. Ansonsten wurde jedes Leiden so gut bekämpft, wie es möglich war. Etwa 50% der Bewohner des Hauses überlebten damals und verließen es wieder. Die anderen starben innerhalb einiger Stunden, Tage oder Wochen. Niemand von außerhalb besuchte sie oder kümmerte sich um ihren Tod. Denn nur die, so wurde mir gesagt, durften in diesem Haus wohnen, die drei Kriterien erfüllten: offensichtlich kurz vor dem Tod stehend, vollkommen mittellos und ohne Angehörige. Menschen, die also anderenfalls schlicht irgendwo am Straßenrand allein gestorben wären.
Davon gab es noch genug. Jeden Morgen fuhr ein Lastwagen durch die entsprechenden Straßen und sammelte Tote ein. Einmal habe ich ihn gesehen: ein paar Säcke mit Leichnamen auf der Ladefläche, einer davon völlig unförmig und blutdurchweicht. Ich habe versucht, mir nicht auszumalen, was darin war, doch ich dachte an die berüchtigten Ratten von Kalkutta, die nachts angeblich sogar noch lebende Sterbende anfraßen und die am Busbahnhof von den Reichen mit Popcorn gefüttert wurden. Tausende Ratten, die sich auf den Verkehrsinseln satt fraßen.
An der Tür wurde Essen an Bettler ausgegeben. Viele kamen, viele nicht. Was an Essen übrig war, wurde weggeworden. Zusammen mit vereiterten Verbänden und anderem Müll landete es auf einem Haufen hinter dem Haus, der ab und zu abgeholt wurde. Ich war empört! Doch dann erzählte mir jemand, das werde großenteils noch von Armen weggeholt, die von Christen nichts annähmen, vom Müll aber schon.

Im Saal herrschte eine große Ruhe, obwohl es unruhige und auch unangenehme, ungeduldige Bewohner gab. Doch aus irgendeinem Grund fehlte in der Stimmung dort eine Emotion völlig: Traurigkeit. Nicht fröhlich, aber vollkommen friedlich. Es ist der positivste Ort, den ich jemals besucht habe. Das lag sicherlich auch daran, dass viele der Bewohner niemals zuvor ein eigenes Bett, einen Arzt, ein regendichtes Dach oder regelmäßige, gesunde Mahlzeiten gehabt hatten. Sie starben besser, als sie jemals gelebt hatten. Der Hauptgrund aber stand in der Ecke, mit brennenden Kerzen davor. Mutter Teresas Brüder und Schwestern leben kontemplativ. Sie beten ebenso viel, wie sie arbeiten. Auch ihre Arbeit ist Gebet für sie, ihre Haltung zu den Bewohnern Liebe. Die unbeschreibliche Schönheit des Hauses ist die Schönheit Gottes – anders lässt es sich nicht erklären.
Es ist wie ein Schock, in einen Raum zu kommen, in dem die Hälfte der Menschen im Sterben liegt, aber niemand traurig ist, doch jeder liebevoll. Diese Liebe zu bringen ist das erklärte Ziel Mutter Teresas. Und obwohl selbstverständlich jeder versorgt wird, so gut es geht, ist diese Liebe das Wichtigste.
Obwohl sie sich für jeden Freiwilligen eine halbe Stunde Zeit nahm, habe ich Mutter Teresa selbst nie getroffen – sie war gerade im Ausland. Ihr Wirken habe ich gesehen. Es gab keinerlei Missionsgespräche an den Krankenlagern. Hindus starben wie Hindus, Moslems wie Moslems. Manche fragten, warum man ihnen helfe – die bekamen natürlich eine ehrliche Antwort. Doch was zählt und oft so wenig verstanden wird, ist, was Mutter Teresa einmal sagte: „Anfangs habe ich gedacht, die Menschen bekehren zu müssen. Doch dann habe ich begriffen: ich soll sie lieben. Und die Liebe bekehrt, wen sie will.“

Morgen Geschichte, doch heute dumm!

Trotz Blog-Pause: eine Beschimpfung will ich hier loswerden.

Wie Kath.net berichtet (LINK), erklärte der Kirchenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz Josef Jung, die katholische Kirche solle sich «dieser wichtigen Frage» zuwenden. Von ihr könne die Zukunft der Institution abhängen.

Nun ist selbstverständlich einem jeden freigestellt, eine Meinung zum Zölibat zu haben. Und ebenso natürlich muss die keineswegs mit der Haltung Roms identisch sein. Man kann dabei sogar gut katholisch sein: der Zölibat ist kein Dogma. Doch es gehört schon eine ausgewachsene, gut abgehangene und über dem Feuer der Selbstverliebtheit geräucherte Portion Dummheit dazu, wenn sich ein Politiker aufschwingt, der Kirche zu sagen, wie man überlebt.

Als Abgeordneter denkt Jung naturgemäß in Zeiträumen von maximal vier Jahren, Minister war er vier Wochen. Die Lebensdauer seiner ganzen Partei erreicht schlappe 80 Jahre; das sind 4% des Lebens der Organisation, der er gerade erklären will, wie man alt wird.
Wenn ein Mann im Vorgarten hingebungsvoll seine Saisonblümlein pflegt und beim Anblick eines 2000 Jahre alten Baumes nicht merkt, dass das etwas völlig anderes ist, darf an seiner Eignung als Gärtner gezweifelt werden. Seine Tipps sind absehbar: der ist ja völlig knorrig und verholzt, der muss dringend auf 50cm gekürzt werden und wenn der im Frühjahr nicht schön kommt, werde ich einen neuen kaufen müssen. So denkt Jung, und er ist überzeugt, nur die Sorge um den Baum treibe ihn. Er offenbart die typische Borniertheit eines Parteipolitikers, der nicht begreift, dass seine Kompetenz Grenzen hat. Der meint, das C im Namen seiner Partei bedeute keine Unterordnung unter die Gemeinschaft Christi, sondern Macht darüber.

Nun, Jung ist samt all unseren Parteien morgen Geschichte, die Kirche hingegen wird es nicht sein. Sie steht sicher, denn sie wird nicht überwunden werden, auch nicht von deutscher spießbürgerlicher „Sorge“.
Nicht als Christ, der seine Kirche schützen will, rege ich mich daher auf. Jung ist keine Gefahr. Nein, es wurmt mich als politisch denkender Mensch, sehen zu müssen, wie viel Borniertheit bei uns wählbar geworden ist.