Mittwoch, November 25, 2015

Moral und Militär

Die „Nordatlantische-Verteidigungs-Organisation“ (NATO) war einst eine Wertegemeinschaft, die sich militärischen Beistand versprach, um diese Werte überzeugend zu verteidigen. Heute erscheint die Nato als Militärbündnis auf der Suche nach gemeinsamen Werten. Doch damit tut sie sich schwer.
Die eigenen Überzeugungen scheinen korrumpiert zu werden, sowie sie mit militärischen Interessen in Konflikt geraten. Davor wurde lange gewarnt, doch häufig ungeschickt. „Frieden schaffen ohne Waffen!“ war ein Ansatz der Kritiker, der so viel Angriffsfläche bot, dass man mithilfe seiner Naivität die ganzen Zweifel an einer militärischen Option glaubte diskreditieren zu können. Übersehen wurde dabei, dass man sich damit das Weltbild ebenso zurechtbog, wie es die Friedensinitiative tat.

Zu lange wird schon versäumt, bei sich selbst das zu erhalten, was man zu verteidigen vorgibt. Stattdessen exportiert man erst Demokratie und danach Waffen zu ihrem Erhalt. Beides genau so lange, wie es der eigenen militärischen oder vermeintlichen moralischen Stärke dient. Eine moralische Stärke, die auf der Welt wohl nur noch von denen wahrgenommen wird, die sie sich selbst zuschreiben. Tatsächlich ist der Westen dabei, für jeden sichtbar innerlich moralisch zu verarmen, um nicht zu sagen zu verrotten.
Entsprechend erfolgt der Umgang mit der eigenen militärischen Stärke. Schwerste Kollateralschäden werden in Kauf genommen, solange sie „nur“ die Werte betreffen. Saudi-Arabien, offenbar Unterstützer des weltweiten Terrors, wird lang schon hofiert und akzeptiert, weil man dort Basen hat. Die Türkei, seit Jahrzehnten mehr als kritisch im Umgang mit dem kurdischen Teil der eigenen Bevölkerung, lässt man aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage agieren. Diese Liste geht weiter, und sie ist lang!

Dem militärischen Potential steht kein moralisches Potential mehr gegenüber, oder besser, das militärische Potential steht auf keiner moralischen Grundlage mehr. Freundschaften sind nicht mehr die Basis für Bündnisse, sondern militärische Optionen entscheiden, mit wem man befreundet ist. Doch Vorsicht: im Bündnis sind wir von unseren Partnern abhängig, auch wenn wir mit ihnen nur wenig gemeinsame Moral haben. Ein Angriff auf das Territorium eines der Bündnisstaaten gilt als Angriff auf alle und zieht die entsprechenden Konsequenzen nach sich. So wurde vereinbart. Jeder Partner hat damit die Möglichkeit, Reaktionen zu provozieren, die alle anderen nahezu automatisch in einen Krieg verwickeln.
Es war eine Frage der Zeit, bis es dazu kommt, dass einer der Bündnispartner Teil einer bedenklichen militärischen Eskalation wird. Nun ist es (wieder einmal) passiert, an der türkisch-syrischen Grenze. Manche militärische Krisensituation erfordert als erstes eine moralische Antwort. Der Westen täte gut daran, sich auf seine Grundlagen zu besinnen. Alles andere könnte auf Dauer lebensgefährlich sein.

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