Montag, Februar 23, 2015

Was ein Schaf zum Hirten meint…

[Von Bastian] Wenn ein Bischof einen Hirtenbrief schreibt (LINK), möchte er, dass der von den Schäflein gelesen wird und zum Nachdenken anregt. Daher habe ich beides riskiert – es war interessant! Und um diesen Prozess des Nachdenkens und Lesens zu unterstützen, schreibe ich hier einmal meine eigenen Gedanken dazu auf.
Die sind sehr ambivalent: inhaltlich spricht mir das, was der Kardinal schreibt, aus der Seele. Die Vision, die er entwickelt, teile ich in vollem Umfang, soweit ich sie verstehe. Der Brief als Text ist steigerungsfähig.

Der erste Eindruck hat keine zweite Chance, heißt es. Dieser Brief aber braucht eine zweite. Denn der erste Eindruck ist: an alles wurde gedacht, alles wurde korrekt ausgedrückt, kaum ein wichtiges Schlagwort fehlt und keiner weiß, worum es geht. Offensichtlich geht es um alles auf einmal, und das in Sätzen, die man erst beim dritten Lesen wirklich versteht, denn wenn das Verb auftaucht, weiß man vor lauter Aufzählungen nicht mehr, worum es am Satzanfang ging.
Begriffe wie Megatrend, demographischer Wandel, Übergang, Globalisierung und Digitalisierung laden zum Kirchenbingo ein. Fast alles, was man ohnehin ständig liest und hört, ist drin. Und man fragt sich unwillkürlich: glaubt unser Bischof wirklich, dass er uns das alles noch einmal erzählen muss? Es wirkt mehr wie der (immer wieder peinliche) Versuch, up-to-date zu sein, ebenso wie der „Weg zu einer neuen und nachhaltigen Form des Kirche-Seins“. Die einzige Truppe auf der Welt, die es seit 2000 Jahren gibt, ist ein Beispiel für Nachhaltigkeit, nicht auf der Suche danach. Hier wird die eigene Identität in Frage gestellt, um einen modernen Ausdruck im Text unterzubringen.
Zudem ist der Adressat der einzelnen Aussagen unklar. Der Brief geht davon aus, dass die angesprochenen Leute gleichzeitig
  • nicht zur Messe gehen,
  • zur Messe gehen,
  • vom Glauben keine oder wenig Ahnung haben,
  • schon einiges wissen, aber Jesus noch nicht persönlich begegnet sind,
  • ihm schon begegnet sind und derzeit versuchen, im Glauben kuschelig und gemütlich für sich zu leben,
  • bereits in den Startlöchern stehen, um nach einer kleinen Ermutigung durch ihren Hirten großzügig und organisatorisch ausgereift mit vollen Händen von ihrem großen Reichtum auszuteilen.

Alle Gruppen gibt es, doch wenn man zu allen auf einmal redet und dabei innerhalb eines Absatzes mehrfach den Adressaten wechselt, wird es schwierig, zu folgen.

Ich finde es schwer, sich durch diese Probleme hindurchzuwühlen, um zu verstehen, was denn zu wem gemeint ist. Wenn man sich aber durchgebissen und die Zähigkeit des Lesens überwunden hat, wird es interessant: der zweite Eindruck. Die Zukunft der Kirche in unserem Bistum. Da bin ich von vielem begeistert!
Besonders freut mich die Logik der Vision, die hier entwickelt wird: nicht Organisation ist die Grundlage des kirchlichen Lebens, sondern der persönliche geistliche Prozess.
„Gemeindliche und kirchliche Erneuerung ist […] kein administrativer Vorgang, sondern ein geistlicher Weg, der in der Begegnung mit dem Herrn in Gebet, Heiliger Schrift und der Feier der Hl. Eucharistie gründet. Denn nur wer Christus persönlich begegnet ist, kann ihm auch ein Gesicht, nein, sein Gesicht geben. Nur wer Christus persönlich begegnet ist, kann ihn auch anderen mitteilen. Denn – und davon bin ich gemeinsam mit dem Heiligen Vater überzeugt – braucht er nicht viel Vorbereitungszeit, um sich aufzumachen und sie zu verkündigen.“
Diesen Abschnitt halte ich für das Herz des ganzen Briefes. Er sagt, worum es geht. Alles Weitere ist der Versuch, Wege aufzuzeigen, wie das umsetzbar ist.
Dabei ist es nur natürlich, dass diese Wege derzeit noch hypothetisch sind. Vor allem im organisatorischen Bereich wird nur angedeutet, in welche Richtung es gehen wird. Die bekannten Pfarrstrukturen stehen auf dem Prüfstand, was in der Presse sofort breit getreten wird. Als Alternative wird jedoch keine ausgefeilte neue Struktur präsentiert, die sich organisieren lässt, sondern ein geistlicher Weg wird aufgezeigt, dessen Früchte zum Fundament der Kirche vor Ort werden. Dies ist für mich die revolutionärste Aussage des Hirtenbriefs: nicht länger soll die Struktur den Glauben hervorbringen, sondern der Glaube soll die Organisation und Struktur gebären. Ein Netzwerk aus vom Glauben hervorgebrachten und getragenen Dingen ist die Vision der Kirchenstruktur von Morgen – eine wunderschöne Vision (die natürlich nicht in der Zeitung steht)!
Ich wünsche dem Kardinal und seinen Mitarbeitern hier ganz viel Mut zur Vorläufigkeit und langen Atem, damit diese Früchte reifen können und der Versuchung widerstanden werden kann, sie zu früh zu pflücken und unreif in ein neues Organisationskorsett zu zwängen. Sie würden verdorren und wir hätten den jetzigen Zustand, nur anders organisiert.

Ermutigend ist, dass der Brief im Gegensatz zu den Andeutungen über organisatorische Änderungen sehr konkrete Aussagen dazu macht, was man tun kann, um den nötigen geistlichen Prozess in Gang zu bringen. Das ist inhaltlich ein schwieriges Thema, wenn man nicht der Versuchung erliegen will, das zu organisieren und so wieder in den alten Fehler zurück zu fallen. Hier schafft es der Brief, Rahmenbedingungen und Ideen aufzuzeigen, die zugleich konkret und frei sind. Schriftlesung, Gemeinschaft im Glauben, persönliche Gottesbeziehung. Als Vorschlag liegt dem Brief ein Blatt bei, das zum Bibelteilen anregt. Gleich vier Möglichkeiten werden dort angerissen: in der gemeinsamen Schriftlesung kann man durchaus unterschiedliche Charismen entdecken und entwickeln.
Dabei ist es dem Erzbischof wichtig, dass wir ins Ganze eingebunden sind: nicht Grüppchen, die sich um sich selbst drehen, sind das Ziel, sondern die Gemeinschaft der Kirche. Bei der Ausformulierung dieses Punktes verschwimmt jedoch der Inhalt: Solche Oasen seinen „keine kuscheligen Kleingruppen, sondern Glaubensgemeinschaften, in denen Trost und Herausforderung gleichermaßen gelebt und geteilt werden“. Ich denke: eines nach dem anderen. Auch hier wirkt doch Gott: wer sich auf ihn einlässt wird offen, denn die Liebe Gottes drängt dazu. Auch dies ist ein geistlicher Prozess, der seine Früchte bringen wird. Zudem gibt es wenig, was so sehr gebraucht wird, wie kleine Glaubensgruppen, die ruhig „kuschelig“ sein dürfen. Vor allem Jugendlichen, für die es meist gar nichts Geistliches gibt, ist das ein großes Bedürfnis. Was ich verstehe, ist: verharrt nicht im Erreichten. Dem stimme ich natürlich zu.

Der Inhalt dieses Hirtenbriefs ist ermutigend, denn er spricht in erster Linie von Gott und mir. Gott ist es, den wir kennen müssen. Gott ist es, der wirken wird. Mein Weg zu Gott ist mein Weg in die Kirche. Alles andere wird angepackt, ist aber letztlich zweitrangig.
Aus diesem Brief spricht der Mut, sich auf Gott zu verlassen und nicht auf sich selbst. Er macht daher vor, was er fordert: er nimmt einen geistlichen Weg in Angriff. Für diesen Anfang bin ich dankbar!

Mein Fazit:
Formell: Herr Erzbischof, besorgen Sie sich einen anderen Ghostwriter!
Inhaltlich: Vielen Dank, Herr Kardinal!
Der Brief lässt sich für mich in vier Aufforderungen zusammenfassen:
  1. Glaubt. Vertieft den Glauben. Lest in der Schrift. Lernt Jesus kennen. Lasst ihn an Euch handeln. Geistliche Entwicklung ist die Voraussetzung für alles.
  2. Tut Euch zusammen. Wartet nicht, bis jemand anderes das für Euch organisiert. Seid in Euren Gruppen offen für andere.
  3. Entdeckt Euer Charisma. Handelt aus dem Glauben. Macht Jesus bekannt. Missioniert, wo Ihr könnt, und unterstützt Euch gegenseitig.
  4. Die Struktur der Kirche in Euren Gemeinden wird sich ändern. Lasst Euch davon nicht stören, das schaffen wir schon. Und außerdem: Gott wird helfen.
Dem stimme ich zu 100% zu!

5 Kommentare:

  1. Anonym1:22 AM

    Feine Analyse, m.E. Auch danke. :v:.

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  2. Was ich vermisse ist der Hinweis des Kardinals, dass jemand der sich auf Gott einlässt, damit rechnen muss, einen dornenreichen Weg vor sich zu haben. Weil Gott der andere ist, ein Gott dessen Gedanken nicht unsere Gedanken sind, wird es auf dem Weg, Ärger, Gegenwind und Hindernisse geben. Die Bischöfe müssen darauf aufmerksam machen, dass der Weg mit Gott kein Selbstläufer ist. Genau das aber wollen die Schafe in der Mehrheit nicht mehr hören. Selbst die Schafe, die in den Gottesdiensten davon sprechen, dass Gottes Wille geschehe.

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    1. Es ergibt, denke ich, keinen Sinn, über das zu reden, was nicht im Brief steht. Es gibt viel, was gesagt werden muss. Wichtig ist dabei die Art. Dazu empfehle ich dringend Johannes Hartl:
      http://www.kath.net/news/49582

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    2. Danke für den Link. Johannes Hartl sagt alles richtig, wenn auch meine Argumentation nicht auf Wut sondern eher auf Traurigkeit zurück geht.

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  3. Jedes Jahr werden am ersten Fastensonntag diese Hirtenbriefe verlesen. Das Verlesen wird nicht deswegen gemacht, um dem Zelebranten an einem Sonntag das Predigen zu ersparen, sondern weil der Bischof so sein Gläubigen, bzw die 10%, die noch in die Kirche gehen, mit diesem Text erreichen will.
    Dazu ist es notwendig, daß der Text so verfasst ist, daß er beim einmaligen Hören verstanden wird.
    Es kann nicht Sinn der Sache sein, einen Text zu verlesen, der nicht oder nicht richtig verstanden wird und den man erst noch einmal (oder gar mehrfach) nachlesen muß. So einen Text bräuchte man erst gar nicht zu verlesen. Bei so einem Text würde es ausreichen, ihn in schriftlicher Form zu verteilen resp. am Schriftenstand auszulegen. Das Nachlesenkönnen ist auch eine recht junge Erfindung. – In früheren Jahren wurde nicht so viel Altpapier produziert, das nie gelesen wird.
    Natürlich wird es immer Leute geben, die sich intensiv mit dem Text auseinandersetzen wollen und für die es gut ist, wenn sie den Text nachlesen können. Diese dürften in ihrer Anzahl aber insgesamt weit unter 1 Promille der Gläubigen liegen.

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